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Durch Ebbe und Flut und durch die Meeresströmung wird es an die Strände gespült – Strandgut. Das sind meistens schwimmende Gegenstände, Fundsachen, die von Bord eines Schiffes gespült wurden oder an einem anderen Küstenabschnitt abgetragen worden sind. Oft zersplittert, zerstreut, zerflattert. Dann aber auch Treibholz, geglättet und gerundet, immer wieder in feinen Formen. Durch die Täler und Berge aus Wellen an den Strand gespült.

Als ich auf einer Nordseeinsel einige Wochen zur Kur war, habe ich besonders viel Strandgut gesammelt und ausgewählt. Die Inselkirchengemeinde hatte zu dieser Aktion aufgerufen: „Sammeln Sie das Gut am Strand und legen Sie es in unsere Kirche, auf die Stufen vor dem Altar.“ Da kam viel zusammen: Reste von Netzen, Flaschen und Dosen, Holz als Balken und Stöcke, Säcke und Stoffe, Tauwerk in allen Stärken, zerfaserte Wolle, Verstreutes und Verlorenes.

Auf den Altarstufen der Inselkirche wirkte dieses Gesammelte für mich zunächst wie ein Fremdkörper. Doch jeden Tag legte ich mit vielen anderen weiteres Strandgut hinzu. Da lagen nun Geschichten auf den Stufen. Sie erzählten von Sonnenaufgängen und Mondnächten, von traurigen Liedern und fröhlichen Gelagen, von herrenlosem Gut und Fundsachen, von verunglückten Schiffen – auch von verunglücktem Leben.

Nach einigen Tagen lag auf den Altarstufen bei dem Gesammelten vom Strand ein auffallend neues Strandgut, ein Buch mit leeren Blättern. Das hatte sich eine Gruppe der Inselkirchengemeinde ausgedacht. Es war in schönes Papier eingebunden und verziert mit einem hellblauen Etikett: „Fundsachen – bitte alles eintragen“. Die leeren Seiten füllten sich rasch mit Erinnerungen, eingelegten Bildern, mit Erzählungen und erlebten Geschichten, mit Texten zu dem persönlichen Strandgut.

Unsere Gegenstände, von der See gegen den Strand getrieben und vom Strand aus geborgen, selber eine Fundsache, wurden zu einer Fundsache für alle, die ihre Gedanken in das Fundsachen-Buch schrieben. Verstreutes lag jetzt, neu aufgestellt, geordnet und sortiert, auf den Stufen zum Altar. Eines Tages lagen zwei Holzbalken auf dem Altar, gelegt zu einem Kreuz. Neben diesen Fund hatte jemand einen Zettel, herausgerissen, gelegt mit einer Bleistiftschrift: „Alles, was mich getrieben hat, ist jetzt geglättet durch dieses gefundene Holz.“

Ich halte seitdem noch öfter Ausschau nach Dingen im Sand, wenn ich an der Küste bin. Vieles hebe ich auf, liegt jetzt auf Fensterbänken oder am Rand meines Schreibtisches. Weggeworfene Fundsachen, zersplittert, zerstreut, zerflattert, die jetzt Ruhe und einen Platz gefunden haben, die jetzt aufgehoben sind.

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