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Manchmal, wenn meine Enkelin mit hängenden Schultern ins Zimmer tritt, ist sie das leibhafte schlechte Gewissen. Sie hat etwas getan, was sie nicht sollte und weiß das ganz genau. Aber sie sieht dabei so betrübt aus, dass man ihr kaum noch böse sein kann. Ältere Kinder versuchen mit besonderer Liebenswürdigkeit, das eigene Gewissen zu besänftigen. Sie tragen freiwillig den Müll hinaus und sind so brav, dass die Mutter irgendwann fragt: „Sag schon, was hast du ausgefressen?“ Dann rücken sie heraus mit der verpatzten Mathearbeit und erwarten das reinigende Gewitter oder die erlösende Umarmung.

Wie schön wäre es, wenn wir alle Gewissensbisse so leicht aus der Welt schaffen könnten! Doch meist ist es etwas komplizierter. Oft sind die Handlungen, bei denen sich unser Gewissen meldet, nicht objektiv falsch – wir empfinden sie als schlecht, weil sie mit unseren Werten nicht übereinstimmen. Es schreibt mir niemand vor, wie ich mich um andere kümmern muss, wie viel politischer oder sozialer Einsatz von mir gefordert ist. Das sagt mir mein Gewissen, das aus meinen tiefsten Überzeugungen und Normen entspringt.

Deshalb urteilt das Gewissen nicht bei jedem Menschen gleich: Während die eine sich von ihrem Gewissen dazu genötigt fühlt, zivilen Ungehorsam zu leisten, verbietet eben dies einem anderen sein Gewissen. Was ist richtig? Was ist falsch? Für mich als Christen wurzeln die Normen, die mein Gewissen leiten, in meinem Glauben: Die zehn Gebote, die Worte und das Leben Jesu, die biblischen Weisungen – sie alle prägen meine Vorstellung von dem, was Gut und Böse ist. Im Hören auf die Heilige Schrift und im Gebet schärfe ich mein Gewissen. Das möchte ich auch meiner Enkelin vermitteln.

So sagt mein Gewissen in erster Linie etwas aus über meine Person: Wer ich bin und worauf ich mich gründe. Das Gewissen ist der „Ruf der menschlichen Existenz zur Einheit mit sich selbst“, sagt Dietrich Bonhoeffer. Das ist unbedingt zu achten, von mir selbst und von anderen auch. Niemand, kein Mensch und keine Staatsgewalt, darf mich zwingen, gegen mein Gewissen zu handeln. Es ist ein Menschenrecht. Und das ist gut und richtig so. Denn wer gegen sein eigenes Gewissen handelt, handelt gegen sich selbst, wird uneins mit sich selbst, abgestumpft und zerrissen in seiner Person. Gewissenlos ist der, der sich angewöhnt hat, sein Gewissen zu überhören.

Ich kenne aber auch Menschen, die so feinfühlig sind, dass sie permanent ein schlechtes Gewissen plagt. Diesen Menschen würde ich etwas mehr von der Leichtigkeit der Kinder wünschen, die nach einem bangen „Entschuldigung“ rasch wieder fröhlich sind, wenn diese akzeptiert wird. Und ich wünsche ihnen das Gottvertrauen Martin Luthers, der erfahren durfte: Gott ist weiter als mein Herz und sein Urteil größer und barmherziger als mein Gewissen. Auch wenn ich es mir selbst nie recht machen werde: Für Gott bin ich recht, so wie ich bin. Darum belastet mich mein schlechtes Gewissen nicht auf Dauer, weil ich es vor ihm ausbreiten darf und von ihm Entlastung erfahre.

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