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Meistens bin ich mir vertraut. Jedenfalls so einigermaßen. Und manchmal werde ich mir fremd. „Bin ich das“, befrage ich mich über das Bild im Spiegel, das so anders aussieht als sonst. „Soll ich das getan haben“, wenn mir eine meiner Handlungen so völlig zweifelhaft erscheint.

„Du verstehst mich überhaupt nicht mehr!“, habe sie ihm an den Kopf geworfen. So schildert er mir die jüngste Szene zwischen ihnen. Der Beginn einer tiefen Entfremdung? Oder der Beginn eines neuen Verstehens? Vielleicht muss man sich manchmal fremd werden, um altgewordene Standpunkte, Positionen und Bilder, die man voneinander hat, aufzugeben. Um einander neu zu entdecken. Das war einmal anders.

Am Anfang meines Lebens habe ich schon bald Vertrauen gefasst: natürlich zu meiner Mutter und meinem Vater. Meinem Bruder, meiner Schwester. Von meiner Umgebung habe ich mir nach und nach immer etwas mehr erobert, so dass sie mir allmählich vertraut wurde. Aber dann tauchten auf einmal Gesichter und Stimmen auf, die mir völlig unbekannt und fremd waren! Zu denen sollte ich auf den Arm. Aber ich wollte nicht! Ich habe mich gewehrt und geweint. Ich hatte Angst.

Und ich habe mich erst wieder beruhigt, als die anderen weg waren. Beim nächsten Mal, nach einiger Zeit, waren sie wohl vorsichtiger. Sie haben zurückhaltend Kontakt mit mir aufgenommen, nein, ich konnte meiner Neugier und meinem Interesse folgen und mich ihnen annähern: vorsichtig, tastend, ausprobierend. Etwas ist davon geblieben: eine Art dynamische Bewegung. Zwischen Nähe und Distanz, zwischen meinem Ich und den Anderen, zwischen fremd und vertraut.

Auch Gott ist mir manchmal sehr vertraut: vielleicht am stärksten, wenn das Leben einfach seinen natürlichen Gang nimmt. Aber ich brauche erst recht Gott, den Fremden: - damit mein Gottesbild von einem immer freundlichen, immer geduldigen, immer sanften Gott zerstört wird; - damit ich im Anderen, im Fremden Göttliches wie Menschliches entdecken lerne; - damit ich lebendig bleibe und mein Glaube lebt.

Wie jeder Mensch werde ich Tag für Tag älter. Manchmal merke ich, wie ich mit Befremden auf diese Welt reagiere: Da sind diese Beschleunigungstendenzen, weil vieles immer schneller wird. Da will ich auch nicht mehr jede neue Mode und jedes update mitmachen. An Menschen, die alt geworden sind, erlebe ich manchmal, wie stark sie sich der gegenwärtigen Welt entfremdet haben, um über kurz oder lang mit der kommenden Welt vertraut zu werden: wenn sie heimgerufen werden.

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