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"Nie", sagte die junge Frau, "gehe ich ungeschminkt aus dem Haus. Nicht mal, wenn ich Müll runtertrage." Die erstaunte Rückfrage nach dem Grund des Aufwandes im Angesicht von Papiercontainer und Biotonne, wird schlicht beantwortet: "Ohne Make-up fühle ich mich nackt." Schatten unter den Augen, Spuren einer leidenschaftlichen Nacht – sie müssen überpinselt, übermalt, übertüncht werden wie alles, was einem am eigenen Ich hässlich und fehlerhaft, schwach oder zerbrechlich vorkommt. Irgendwann weiß dann keiner mehr, wie man wirklich ist. Selber erliegt man zunehmend der Phantasie, alles Geringe, Erbarmungswürdige und Leidvolle an sich besiegen zu können.

Allmachtswahn beginnt mit Dauerstyling. Körper, Geist und Seele werden beständig auf Vordermann gebracht oder auf Frontfrau getrimmt. Doch allenthalben lauert die Angst, sich eine Blöße zu geben, wo man alles schön dekoriert und verhängt hatte. Stärke und Schwäche, Großes und Kleines, Wissen und Ratlosigkeit gehören zu jeder menschlichen Existenz, müssen integriert werden, soll ein Ganzes, eine Persönlichkeit aus einem werden. Spaltet man nach Leibeskräften vermeintlich Unwertes ab, ist peinlich genau zwischen gut und schlecht in der Selbstdarstellung unterschieden, ist es schwierig, sich mit sich selbst und allem, was zu einem gehört, zu versöhnen.

"Ich lehre euch den Übermenschen" sagt Nietzsche in der Vorrede zum Zarathustra. "Der Mensch ist Etwas, das überwunden werden soll". Vor allem Menschlichkeit überwindet, wer kindliche Empfindsamkeit, jugendlichen Überschwang, erwachsene Stärke und das Wissen um Endlichkeit nicht in sich vereinen lernt.

Was Mann oder Frau an Anteilen ihres Selbst brutal weg hacken, können sie nicht an anderen akzeptieren oder lieben. Die ungeschminkte Kollegin wird zur unattraktiven Gans erklärt, der gerührte Mann zum Waschlappen. Man ekelt sich vor Armut und Behinderung, findet Obdachlose und Flüchtlinge eine Zumutung, ist pikiert über Alter und Verfall.

"Gotteskomplex" hat der Psychoanalytiker Horst Eberhard Richter das Streben nach Grandiosität genannt, das das Wohl der eigenen Person und die sozialen Beziehungen gefährdet. Allmachtsphantasien sind außer zu psychohygienischen Tagträumen, in denen man es einmal allen zeigt, zu nichts nutze. Ein sympathisches, mitfühlendes Miteinander gibt es nur, wenn man Macht und Ohnmacht in sich selber zulässt, wenn man anderen in dem Bewusstsein begegnet: Stärke und Schwäche stecken auch in mir selber, Vitalität und Sterben gehören auch zu meiner Lebensgeschichte.

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